Wann haben Sie zum ersten Mal vom Bauhaus gehört, und was hat Sie damals speziell fasziniert?

Irma Radončić: Meine erste Wahrnehmung des Bauhauses war wohl gleich wie bei einem Grossteil der Bevölkerung: ein Zwitterwesen von Museum und Produzentin etwas teurer Möbel. Erst im zweiten Jahr des Architekturstudiums habe ich einen vertieften Blick auf das Wesen des Bauhauses erhalten. Damals lag der Fokus auf den einzelnen Protagonisten und ihrer Wirkung auf das Curriculum, eher beiläufig wurden die architektonischen Charakteristika der Gebäude erwähnt. Erstaunlich fand ich den Ansatz des Bauhauses, auf die gesellschaftliche und politische Lage in Krisenjahren antworten zu wollen: mit industriell gefertigten und durch die Logik von Kunsthandwerk entworfenen Einrichtungsgegenständen für eine breite Bevölkerung.

Ist das Bauhaus – vom Jubiläum einmal abgesehen – heute für Architekturstudierende an der ETH überhaupt noch ein Thema?

IR: So pauschal lässt sich diese Frage nicht beantworten. Die ETH ist eine Schule, die im Bereich der Architekturlehre in den Studios oft mit Referenzen arbeitet, dabei tauchen natürlich immer wieder Protagonisten des Bauhauses respektive ihre Möbel und Bauten auf. Es ist aber nicht leicht, die «Idee Bauhaus» als Rezept auf das Jetzt anzuwenden. Durch meine aktive Position im hochschulpolitischen Diskurs des Curriculums sehe ich, wie wichtig es wäre, die Ausbildung angehender Architektinnen und Architekten nicht nur auf das schnelle Lösen von räumlich-sozialen Fragen und deren Antworten in Konzepten hin auszulegen. Vielmehr müsste die Lehre sich näher am Puls der Zeit bewegen, kritischer sein, mehr handeln. Das ist natürlich auch ein Appell an meine Generation, mitzudenken – eine Schule sollte dazu den Nährboden bieten.

Betrachten wir die Art und Weise, wie die Computer und neuerdings Smartphones unsere Weltsicht und Interaktion verändert haben, so müssen wir feststellen, dass sie unser Denken heute weit mehr beeinflussen, als es das Bauhaus heute noch tut. Es wäre an der Zeit, mit diesem Bewusstsein umzugehen und es in den Diskurs unseres Planens und Bauens einzubringen. Vielleicht kommen gerade dadurch wieder Ideen auf, die näher am Handwerk und an der Gesellschaft sind.

Inwieweit beeinflusst das Bauhaus Ihre eigene Art zu entwerfen?

IR: Der Entwurf ist für mich ein Denkprozess: Ich gehe daher nicht gerne auf stilistische Aspekte ein, sondern eher darauf, mit welchen verschiedenen Ansichten und Perspektiven ich den Anfang und das Ende eines Entwurfs durchdenken, erproben, erforschen und somit abbilden kann. Die Art und Weise, wie mit der damaligen gesellschaftlichen Situation umzugehen versucht wurde, wieso welche Materialien wie in Form und Gebrauch kamen und wie die künstlerischen Tätigkeiten eingeflossen sind, beeindruckt mich. Das sind zwar alles nur Facetten eines Entwurfs – doch noch immer hallt ihre praxisorientierte Lehre von Farbe, Form, Handwerk in mir nach.

Würden Sie sich in der heutigen Architekturausbildung mehr Bauhaus wünschen? Sollte die Ausbildung wieder breiter angelegt und stärker mit Design, Kunst und Fotografie verwoben sein?

IR: Ich betrachte dies zunächst im historischen Kontext: Das Bauhaus hat als Schule auf die damaligen Ereignisse reagiert. Die radikale Art, wie die Akteure geantwortet haben, ist mir als ein Vorläufer unseres heutigen Verständnisses von Arbeiten in Architektur ein Vorbild. Diesbezüglich konnte aber das Bauhaus in seiner idealisierten Vorstellung viel reaktionärer und experimentierfreudiger mit seiner Lehre umgehen, als es ein Polytechnikum mit seinen Strukturen heute kann – es war möglich, Industrie mit Kunsthandwerk und einer architektonischen Lehre zu verbinden, heute liegt der Fokus viel eher auf einzelnen Disziplinen als auf der Transdisziplinarität.

Ich wünsche mir, dass junge Studentinnen und Studenten sich bewusst werden, welche Wirkung sie mit der Architektur auf die Gesellschaft und die Ökologie haben.

Dagegen sollte sich die Professorenschaft als Ensemble im Klaren darüber sein, welche Richtung das Departement in der aktuellen Lage einschlagen will – als Institution muss sie sich diesen Fragen um Position und Negation gemeinsam stellen. Es braucht wieder eine gute Vision wie damals zu Bauhaus-Zeiten: die Gesellschaft zu verbessern.

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Irma Radončić
Architekturstudentin an der ETH und Präsidentin Fachverein Architektura

Die Lehre müsste sich – wie einst im Bauhaus – wieder stärker am Puls der Zeit bewegen und kritischer sein.

Irma Radončić

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