17 Millionen Tonnen Abfall produziert die Bauwirtschaft jedes Jahr.
Barbara Buser, Baubüro in situ
Etwas wuchtiger und gewichtiger, rein schon durch das grössere Format, kommt der Band «Bauteile wiederverwenden» daher. Und er bietet wirklich Substanzielles. Nach einem eindringlichen Aufruf zum Wiederverwenden von Barbara Buser, in deren Artikel man auch die spannende Geschichte dieser Pionierin des zirkulären Bauens erfährt, führt uns der begnadete Autor und Architekturtheoretiker Ákos Moravànszky entlang von Begriffen wie Spolien, Bricolage, Adhocismus und Garbage Housing durch die Geschichte des Wiederverwendens – vom alten Rom bis in die Neuzeit.
Die Reportage von Michel Massmünster zeigt uns am Beispiel des Umbaus respektive der Aufstockung K.118 in Winterthur eindrücklich, was es alles braucht, um mit gebrauchten Bauteilen zu bauen: Erstens müssen sie nämlich mal gefunden werden, zweitens stellen neue Bauteilfunde den Entwurf immer wieder in Frage; erforderlich sind also flexible Konstruktionsprinzipien. Man muss, drittens, aber auch viel über das Material wissen, und viertens die Schnittstellen gut planen. Woher die einzelnen Bauelemente für K.118 letztlich herkamen, zeigt ein akribischer Bauteilkatalog auf. Fünf Debatten – unter anderem mit dem belgischen Kollektiv Rotor, das sich auf Bergung, Aufbereitung und Verkauf von wiederverwendbaren Bauteilen spezialisiert hat – und acht Thesen runden das eindrückliche Kompendium ab.
Potenzial historischer Konzepte
«Wiederverwenden» ist nicht gleich «weiterverwenden» stellen die Herausgeber der Publikation «Upcycling» gleich zu Beginn klar; entsprechend unterscheiden sie auch Wiederverwerten, Weiterverwerten, Upcycling und – die schlechteste Variante – Downcycling. Überhaupt sind der Wortspiele in diesem klug konzipierten und schön gestalteten Buch viele. Kommen im ersten Teil Autoren zur «Geschichte der Wieder- und Weiterverwendung» zu Wort – mit einem ebenfalls sehr lesenswerten Beitrag von Hans-Rudolf Meier, Professor für Denkmalpflege an der Bauhaus-Universität in Weimar, widmet sich der zweite Teil der «Wieder- und Weiterverwendung der Geschichte». Denn das Potenzial historischer Konzepte soll neuen Entwicklungen der Baupraxis gegenübergestellt werden. Verschiedene Beiträge verfassten Studierende im Rahmen eines Forschungssemesters an der Universität Liechtenstein und fokussieren unter anderem auf Liechtensteins Baubestand. Denn die Beschäftigung mit dem Bestand, so Herausgeber Daniel Stockhammer, «ist kein nostalgischer Blick zurück, sondern der Weg zu neuen Ideen und Entwurfsansätzen».
Dass dem modularen Bauen das Kreislaufthema inhärent ist, lässt wenigstens dieser Band am Rande anklingen: mit Bildern der Joshua-Tree-Residence, für die das Londoner Whitaker Studio Überseecontainer verwendete, oder der Geräteschuppen auf der Lindisfarne Holy Island, die aus alten Schiffsrumpfteilen gefertigt wurden.
Der Paradigmenwechsel in der Bauwirtschaft ist unumgänglich, das machen beide Publikationen deutlich und bieten viel Inspiration, gute Vorbilder und handfeste Handlungsanweisungen dafür.
Die vorgestellten Positionen zeigen das hohe schöpferische und architektonische Potenzial, das in einem affirmativen Umgang mit dem vorhandenen liegt.
Daniel Stockhammer, Assistenzprofessor und Leitung Entwurfsstudio, Universität Liechtenstein
Downcycling [ist] nicht nur energetisch die schlechtere Variante: Recyclingbeton hat keine ikonografischen Qualitäten.
Andreas Hild, Professor für Entwerfen, Umbau und Denkmalpflege an der TU München
Bibliografien
«Bauteile wiederverwenden. Ein Kompendium zum zirkulären Bauen», hrsg. von ZHAW, Baubüro in situ, Zirkular GmbH, 344 Seiten, Zürich 2021, Park Books, 65.–
«Upcycling. Wieder- und Weiterverwendung als Gestaltungsprinzip in der Architektur», hrsg. von Daniel Stockhammer, Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein, 229 Seiten, Zürich 2020, Triest Verlag, 39.–
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