FAR frohn&rojas haben in Berlin ein Wohngebäude errichtet, wie sonst Industriehallen gebaut werden. Das machte den Bau günstig, flexibel und schnell. Wer nun an Standard und Tristesse denkt, liegt falsch. Das «Wohnregal» landete sogar auf der Shortlist des «Mies van der Rohe»-Awards 2022.

Sollte man das Gebäude künftig einmal anders nutzen wollen, ist das schnell erledigt. Einfach alles aus dem Regal entfernen und neu einräumen.

Bilder: David von Becker

Längschnitt, Querschnitt, Grundriss EG, Grundriss 3. OG

Pläne: FAR

Mitten in einem Berliner Altbauviertel mit 24/7-Shops, Kindergärten, Dönerläden und Nagelstudios steht an einer Ecke das «Wohnregal». Es schliesst eine Lücke in der Blockbebauung, die der Zweite Weltkrieg gerissen hatte. Auch wenn man es dem Gebäude mit der gläsernen Vorhangfassade und dem aussen liegenden Treppenhaus nicht direkt ansieht: Man müsste es eigentlich im Industriegebiet suchen, nicht in der Innenstadt. Denn es wurde so gebaut wie sonst Gewerbehallen. «Hallenbau impliziert maximale Anpassungsfähigkeit und Freiheit im Inneren», erklärt Architekt Marc Frohn von FAR seine Faszination. «Weil die Flächen von Fassade zu Fassade stützenfrei überspannt werden.» Für die Industrie ist der freie Innenraum natürlich Pflicht. Doch auch für den Wohnungsbau bieten variable Grundrisse Vorteile. Zudem ist diese Art zu bauen, günstig, schnell, jahrzehntelang erprobt, und sie verfügt über eine funktionierende Infrastruktur. Deswegen wollte FAR sie auf den Wohnungsbau übertragen: «Es galt, diesen Kosmos zu erschliessen.»

Industrielle Herkunft gewollt ablesbar

Die Architekten schauten sich Werke an, in denen Bauelemente für Gewerbehallen hergestellt werden, standen vor hundert Meter langen Schaltischen. Das musste doch skalierbar sein? Dann betrachteten sie eine Halle als Stockwerk und stapelten sie in die Höhe. Sie studierten Freiheitsgrade und Grenzen. Was kann die Produktion leicht bewerkstelligen, was wird kompliziert? Am Ende allen Überlegens, Planens und Rechnens standen ein 3-D-Modell und eine Bestellung. Das Puzzle aus Stützen, Balken und Decken aus Doppel-T-Trägern – alles in Stahlbeton – musste vor Ort nur noch zusammengesetzt werden, was lediglich eine Woche pro Etage dauerte und die Nerven der Nachbarn schonte, denn zu hören war nur das Summen des Krans.

Wer heute im Wohnregal steht, kann die industrielle Herkunft ablesen – und das ist gewollt. Zwischen den Betonfertigteil-Elementen klaffen Fugen, weil die Industrie andere Toleranzen kennt. Die Oberflächen sind uneben und haben stumpfe Kanten. All das hätte sich verfeinern lassen, aber das hätte das Wohnregal weiter von der Halle weggebracht. Und teurer wäre es auch geworden.

FAR wollte den Beweis antreten, dass serielles Bauen nicht in serielle Grundrisse mündet, dass es mit der Diversität des Wohnens und Arbeitens, die wir heute kennen, unter ein Dach passt. Dafür musste das serielle Element Teil der Tragwerksstruktur sein, nicht raumbildend. Die Etagen wurden einfach mit Trockenbauwänden unterteilt. Sollte man das Gebäude künftig einmal anders nutzen wollen, ist das schnell erledigt. Einfach alles aus dem Regal entfernen und neu einräumen. «Seriell heisst ja auch, dass man an Wiederholung oder Weiterentwicklung denkt», sagt Frohn. Und tatsächlich hat sich FAR bereits mit einem sehr viel grösser konzipierten Folgeprojekt hinausgewagt aus der Innenstadt, in eine Gegend von Berlin, wo das Modulare zumindest polarisiert – in die Plattenbauviertel aus DDR-Tagen. «Da trifft man seine seriellen Grosseltern», findet der 46-Jährige und tritt den Beweis an, dass Denken in Serie befreiend sein kann, nicht beschränkend sein muss.

Am Ende allen Überlegens, Planens und Rechnens standen ein 3-D-Modell und eine Bestellung. Das Puzzle aus Stützen, Balken und Decken aus Doppel-T-Trägern – alles in Stahlbeton – musste vor Ort nur noch zusammengesetzt werden, was lediglich eine Woche pro Etage dauerte und die Nerven der Nachbarn schonte, denn zu hören war nur das Summen des Krans.

Wer heute im Wohnregal steht, kann die industrielle Herkunft ablesen – und das ist gewollt. Zwischen den Betonfertigteil-Elementen klaffen Fugen, weil die Industrie andere Toleranzen kennt.

Abbildungen: [1-7] FAR, [8] Tobias Wootton

Projektdaten

Mehrfamilienhaus «Wohnregal», Berlin, 2019
Bauherr: Marc Frohn, Berlin
Architektur: FAR, Berlin
Auftragsart: Direktauftrag
Tragwerksplaner: IB Paasche, Leipzig
Baukosten: 1500 EUR netto / qm BGF (KG 300&400)

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