Als regionales Tourismusprojekt bot das Gasthaus Alpenrose externe Berglodges an. Die geschmackvoll eingerichteten Häuschen standen an atemberaubenden Orten im Gadmental am Sustenpass. Wie entstand das Projekt und warum musste der Versuch nach sieben Jahren abgebrochen werden? Simon Hehl vom Architekturbüro Pawlik+Wiedmer in Bern gibt Antwort.
Bild: Dominic Büttner
Es braucht kein Jumbo-Chalet für ein Alpenerlebnis.
Simon Hehl, Pawlik + Wiedmer, Bern
Wie kam Ihr Büro zum Projekt Berglodges in Gadmen?
Simon Hehl: 2010 habe ich noch als Assistent an der BFH (Berner Fachhochschule) gearbeitet. Wir haben uns viel mit Verbund- und Leichtbau beschäftig und mein besonderes Interesse galt den geklebten Verbindungen die leichte und steife Konstruktionen ermöglichen. Mein Bruder Matthias hatte die Idee von diesem Hotelzimmer in der abgelegenen Natur – daraus hat sich das Projekt und unsere Zusammenarbeit ergeben.
Wie ist das Modul entstanden?
Simon Hehl: Uns war relativ schnell klar, dass es etwas Leichtes und trotzdem sehr Robustes sein musste das da in die raue Bergwelt des Gadmentales gestellt wird. Qualifutura hat die Entwicklung der Lodge (damals nannten wir sie noch Leichtbaumodul) als Dienstleistung an der BFH in Auftrag gegeben und ich habe mich mit Ulrich Baierlipp (Dozent an der BFH) zusammengetan um das Projekt zu planen. Er als Holzbau-affiner Architekt und ich als Architektur-affiner Holzbauer haben zusammen den ersten Prototypen entworfen, den ich dann später in meinem Büro weiterentwickelt habe.
Wie verlief die Zusammenarbeit mit Behörden und Verbänden?
Simon Hehl: Das war eine der grossen Herausforderungen. Die Bergler sind ja bekannt dafür, skeptische Menschen zu sein und wir wussten, dass die Planung ohne Berücksichtigung der verschiedenen Stellen chancenlos ist. Mein Bruder hatte das Konzept von Qualifutura schon erfolgreich im Tal verankert und war gut vernetzt. Die ganze Planungsphase liessen wir von einem Beirat begleiten, der verschiedene Interessengruppen identifizierte, die wir berücksichtigen mussten. Das waren die Landwirte, die Jäger, die Naturschützer, die Gemeindevertreter, der Regierungsrat, das Amt für Gemeinden und Raumordnung, die Gastronomen und gefühlt das ganze Tal. Ein paar waren begeistert und dank dem Einsatz dieser Leute wurden dann auch die Skeptiker überzeugt. Es braucht die Zusammenarbeit mit allen.
Warum war der Einbezug der vielen Leute so wichtig?
Simon Hehl: Wir wollten etwas in die Landwirtschaftszone stellen, meist mitten im Gefahrengebiet, in einer Wildwechselzone und bestimmt auch in der Nähe von geschützten Pflanzen. Ohne ein paar wirklich begeisterte Leute wäre das absolut unmöglich gewesen. Denn es braucht nur eine Person für eine Einsprache. Das Projekt an sich mag ja eher unspektakulär scheinen, aber es wies einen unglaublich integrativen Effekt auf, was von Qualifutura natürlich beabsichtigt war. Es geht vor allem um Regionalentwicklung und die kleinen Lodges sind diesbezüglich ein sehr gelungenes Produkt.
Welche Bedingungen wurden gestellt?
Simon Hehl: Für uns eher Forschungsorientierten war es ganz wichtig, dass wir die Regionalentwicklung nicht als eine Art Entwicklungshilfe verstanden. Eine Bedingung bei der Konstruktion war, dass alles mit lokalen Handwerkern und lokal verfügbaren Materialien gemacht werden kann. Die Wertschöpfung also maximal in der Region bleibt. Schlugen wir experimentelle Konstruktionsdetails und technische Lösungen vor, sorgte das dann schon auch für Konflikte. Da haben die Bergler auch mal den Kopf über uns Städter geschüttelt. Meine Wertschätzung gegenüber der Qualität des Handwerkes in der Region ist aber gross und wir haben schlussendlich immer gute Lösungen gefunden.
Wie nahmen die Gäste das Konzept auf?
Simon Hehl: Wir hatten sehr gute Rückmeldungen. Diese bezogen sich hauptsächlich auf das Erlebnis und nicht auf die Berglodge selbst, was ja ein ziemlicher Erfolg ist. Natürlich gab es zu Beginn einige Kinderkrankheiten die das Erlebnis trübten. Nicht funktionierende Duschen zum Beispiel, knatternde Textilien, noch nicht optimale Abläufe in der Bewirtschaftung. Was die Leute aber beindruckte war, dass sie ganz für sich in einem Eames-Schaukelstuhl auf der Terrasse sitzen konnten und das ganze Tal im Blick hatten ohne ein anderes Haus, eine Strasse oder einen Strommast zu sehen. Das ist in der Schweiz ein unglaubliches Privileg. Manchen war die Abgeschiedenheit sogar unheimlich. Für diese Gäste gab es eine 24-Stunden-Notfallnummer.
Mussten sich die Gäste um die Haustechnik kümmern?
Simon Hehl: Bezüglich Komfort haben wir wenig Abstriche gemacht. Strom war auch bei schlechter Witterung genug vorhanden, Wasser auch und der Schwedenofen heizte das Volumen schnell auf. Ich hätte den Leuten gerne noch ein wenig mehr zugemutet: Wir haben einmal geplant, dass sie den Wasserdruck fürs Duschen selbst hätten produzieren oder über ein Schwungrad zusätzlichen Strom generieren müssen. Es wäre einfacher, Probleme mechanisch zu lösen und die Leute auch für ihren Verbrauch zu sensibilisieren. Es ist aber ein schmaler Grat zwischen Aufklärung und Bevormundung und die Hotelfachleute haben sich dann durchgesetzt. Wenn wir ein bisschen mehr experimentiert hätten, wären sicher auch mehr Rückmeldungen zu den technischen Lösungen gekommen.
Welche Vor- und Nachteile ergaben die Lodges für das Hotel Alpenrose?
Simon Hehl: Ein Vorteil war sicher, dass die Berglodges die Bekanntheit der Alpenrose und von Qualifutura gesteigert haben. Ein weiterer war, dass spannende Arbeit generiert wurde. Die Jugendlichen haben in allen Bereichen mitgeholfen, vom Bau der Lodges über den jährlichen Transport zum Standort und wieder zurück, den Unterhalt und die Bewirtschaftung. Ein Problem in den Tälern wie Gadmen ist, dass es zu wenig Arbeit gibt. Die jungen Leute wandern ab und die ganze Szenerie bekommt schnell etwas Trostloses. Ideen wie die Berglodges können diese Veränderung für einen Moment aufhalten und Perspektive geben. Vielleicht wird das von mir aber auch überbewertet, ich betrachte das ja schlussendlich nur aus der Ferne und projiziere meine Vorstellungen in das Tal hinein.
Nachteile sind mir keine bekannt. Die Jugendlichen, die die Fäkalientanks leeren mussten sehen das sicher anders. Aber die positiven Erfahrungen, Erlebnisse und Erinnerungen überwiegen. Und Ende Jahr sind die Lodges aus dem Tal verschwunden, als wären sie nie dort gewesen.
Warum ist das Projekt gescheitert?
Simon Hehl: Das Projekt der Berglodges selbst ist nicht gescheitert. Der Standort Gadmen wird von Qualifutura aufgegeben, da sich die Firma im Sozialbereich neu positioniert. Zudem werden zeitnah grosse Investitionen in den Betrieb der Alpenrose fällig, die im wirtschaftlichen Umfeld des Gadmentales nicht mehr zu stemmen sind. Auch der Betrieb der Berglodges musste querfinanziert werden, da das Konzept mit nur zwei Standorten nicht rentabel ist. Der organisatorische Aufwand und die nötige Infrastruktur sind zu teuer. Mit mehreren Lodges hätte das anders ausgesehen, aber dafür wird Qualifutura vor dem Hintergrund der strengeren Rahmenbedingungen für das Bauen in Landwirtschaftszonen die Bewilligung nicht erhalten.
Sehen Sie eine Chance für ein solches Projekt in der Schweiz?
Simon Hehl: Aus der Erfahrung mit den Lodges würde ich jetzt eher sagen nein. Es ist ja auch nicht unbedingt das Ziel, die Bergwelt mit weiteren Angeboten zu überladen. Für das Gadmental, das mit Abwanderung und Verlust an touristischer Anziehung zu kämpfen hat, ist so ein Akzent sicher gut. Insbesondere wenn ein solches Projekt auch diesen integrativen Charakter hat. Wir konnten auch zeigen, dass ein solches Angebot auch minimal-invasiv geschaffen werden kann. Wir haben die Lodges hingestellt und nach ein paar Monaten wieder abtransportiert, ohne eine messbare Veränderung am Standort zu verursachen. Es braucht also keine Jumbo-Chalets um ein qualitativ hochstehendes Alpenerlebnis zu ermöglichen.
Was machen Sie nun mit den Modulen?
Simon Hehl: Qualifutura versucht die Lodges zu verkaufen. Eine geht vielleicht im Container nach Südamerika, eine andere als Gästepavillon oder Atelier auf eine Baulandparzelle. Ich fände es schön, wenn das klappen würde, denn auch auf einer Baulandparzelle ist die Autarkie spannend. In unserem Büro beschäftigen wir uns immer mehr mit solchen Ansätzen, was zu einem grossen Teil von unseren Kunden aus kommt. Sie möchten die Ressourcen, die sie selber erwirtschaften und zur Verfügung haben, auch selber vor Ort nutzen. Wenig zusätzliche Ressourcen beanspruchen und auch einen möglichst kleinen Fussabdruck hinterlassen. Zumindest was Baumaterialien und Energie anbelangt.
Simon Hehl
ist gelernter Bootsbauer (City & Guilds of London) und Holzbauingenieur. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Berner Fachhochschule, Architektur, Holz und Bau. Heute ist er Partner im Architekturbüro Pawlik+Wiedmer in Bern und London.
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