Dass die Vorfabrikation gegenüber der Massivbauweise verschiedene Vorteile bietet, ist hinlänglich bekannt. Kann sie aber auch einen gerechteren Zugang zu Wohnungsbauten bieten? Diese Frage stellen sich Architektinnen und Designer nicht erst heute.

Modulbau

Bilder: ©Modulart

Gegenüber der Massivbauweise bietet die Vorfabrikation verschiedene Vorteile: Geschwindigkeit und Effizienz, Präzision und oft auch geringere Kosten. Da Wohnungsbau ein primäres menschliches Bedürfnis ist, interessieren sich Architekten seit jeher für die industrielle Fertigung, um günstige und qualitativ gute Bauten zu erstellen, etwa in rasch wachsenden Stadteilen oder für Notunterkünfte. Hier stellt sich jeweils die Frage: Könnte die Vorfabrikation als verbreitete Bauweise einen gerechteren Zugang zu Wohnungsbauten bieten?

Diese Überlegung ist nicht neu. Bereits Architekten wie Frank Lloyd Wright, Le Corbusier, Jean Prouvé und Walter Gropius verfolgten Projekte mit dem Ziel, den Wohnungsbau mittels Vorfabrikation zu fördern. In ihrer Publikation «The Dream of the Factory-Made House» boten Gropius und Konrad Wachsmann einen Überblick über ihre Umsetzungen des «Packaged House»-Systems. Sie entwickelten das System, das nach Belieben erweitert oder reduziert werden konnte, nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA. Kommerziell war ihm leider kein Erfolg beschieden. 

Gropius erklärte seine Vision von der Vorfertigung in der Schrift «Wohnhaus-Industrie» von 1924 so: «Genau so, wie es heute 90 Prozent der Bevölkerung nicht mehr einfällt, sich ihre Beschuhung nach Mass anfertigen zu lassen, sondern Vorratsprodukte bezieht, die infolge verfeinerter Fabrikationsmethoden die meisten individuellen Bedürfnisse befriedigen, so wird sich in Zukunft der Einzelne auch seine ihm gemässe Behausung ab Lager bestellen können.»

Die Vision gewinnt an Fahrt

Auch wenn heute viele Unternehmen auf die System- oder Modulbauweise setzen, hat sich Gropius’ Vision bisher nicht global verwirklicht. Vor allem in Ländern des globalen Südens ist die Baubranche noch stark handwerklich geprägt und steht dem technischen Wandel kritisch gegenüber. Allmählich wendet sich aber nun das Blatt. Heute unterscheidet man zwei Haupttypen von Vorfabrikation: Bei der zweidimensionalen Systembauweise werden vorgefertigte Elemente und Panels zur Baustelle transportiert und dort zu einem System zusammengefügt. Bei der Modulbauweise hingegen werden dreidimensionale Strukturen, die bereits alle Installationen enthalten, vor Ort miteinander kombiniert.

Der Bericht «Modular construction: From projects to products» von 2019 zeigt auf, dass «die Modulbauweise kein neues Konzept ist. Heute sorgen aber technologischer Fortschritt, ökonomischer Bedarf und ein Mentalitätswandel für grösseres Interesse und mehr Kapital. Das könnte der Industrie einen riesigen Produktivitätsschub verleihen, in vielen Märkten die Immobilienkrise lösen und die Art, wie wir heute bauen, massgeblich verändern.» Der Bericht vermerkt auch positiv, dass sich die Bauzeit von Modulbauprojekten in jüngster Zeit massiv verringerte. Die Modulbauweise, so der Bericht, könne ein Projekt um 50 Prozent beschleunigen und die Kosten um 20 Prozent reduzieren. Und es gebe noch mehr Kosteinsparungspotenzial: Wenn sich Entwurfsarbeit, Prozess, Instrumente und Technologie weiterentwickeln, könnten sich Baukosten weiter reduzieren, ohne dass die Bauqualität darunter leide. Je mehr Prozesse repetiert werden, desto mehr Effizienz und weniger Kosten.

Bausystem Gomos, Projekt Vale de Cambra (2019) von Summary Architects

Bild: Fernando Guerra

Bezahlbare Wohnungen Hirtenweg Basel (2021), Harry Gugger Studio

Bild: Daisuke Hirabayashi

Gerade die Repetition und angebliche Monotonie der Vorfabrikation sehen viele Architektinnen und Designer kritisch und argumentieren, dass die Modulbauweise die Kreativität einschränke und die Architektur zu sehr vereinheitliche. Der portugiesische Architekt Samuel Gonçalves erklärt im Zusammenhang mit seinem Betonmodulsystem Gomos, dass «diese Systeme weniger die Kreativität einschränken, als den Designprozess als Ganzes verändern werden. Und das ist nicht unbedingt negativ oder limitierend. In der traditionellen Architektur entwerfen wir ein ideales Projekt und überlegen uns dann, wie wir es bauen wollen. Bei der Vorfabrikation wird die Reihenfolge umgedreht: Zuerst müssen wir das System verstehen, wie die Elemente hergestellt, transportiert und zusammengesetzt werden, erst dann können wir uns die Form der Architektur überlegen.»

Bereits Gropius hielt fest, dass Standardisierung und Anpassbarkeit nicht unvereinbar sind. «Industrialisierung des Bauprozesses heisst unvermeidlich Standardisierung; dagegen sollten wir nicht kämpfen, denn Standards sind die Normen einer zivilisierten Gesellschaft und verleihen ihr einen einheitlichen Ausdruck. Dennoch sollten wir nicht vergessen (…) Der Mensch und seine Umwelt sind nicht statisch, sondern befinden sich in einem dynamischen Fluss, und die Wohnbauten, welche die Bauindustrie hervorbringt, müssten adaptierbar sein und auf die Wünsche nach Veränderungen oder Wachstum reagieren können.»  

Doch auch wenn das Thema der Vorfabrikation in der Geschichte der Modernen Architektur allgegenwärtig ist, so wurden im Laufe der Jahre faktisch immer weniger Systembauten erstellt. Das zeigt auch die Geschichte des amerikanischen Katalog-Hauses: Diese flach zusammengepackten Häuser, die per Post angeliefert wurden, waren in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts in Nordamerika sehr populär, wurden aber nach dem Zweiten Weltkrieg seltener und verschwanden in den 1980er-Jahren endgültig.

Heute gibt es Vorfabrikationssysteme mit Holz, Beton oder anderen Materialien, Raumsysteme oder vorfabrizierte Gebäude mit eindrücklich schnellen Ausführungszeiten. Besonders für Schulbauen oder Spitäler eignen sich vorfabrizierte Systeme. Auch für Einfamilienhäuser gibt es gute Beispiele, die die Möglichkeiten verschiedener Systeme aufzeigen.

Lokale Faktoren sind wichtig

Doch wer Bauweise, Materialien und Technologie wählt, muss stets die Situation eines Orts und die lokalen Bedingungen berücksichtigen. Denn davon hängt die Umsetzbarkeit einer Lösung ab. Gerade in Ländern des globalen Südens unterscheiden sich die Kosten von jenen in Industrienationen: Oft sind dort Material, Ausrüstung und Technologie teuer, dafür die Lohnkosten günstig. Während sich die Vorfabrikation in Japan und nordischen Ländern schon seit Jahrzehnten etabliert hat, steckt sie deshalb in Ländern mit tiefen Lohnkosten noch in den Kinderschuhen. Günstiger Wohnungsbau ist zudem nicht nur eine Frage der Bauweise. Viel entscheidender ist der Bodenpreis, der von der Lage und der vorhandenen Infrastruktur abhängig ist. Wenn wir über einen gleichberechtigeren Zugang zu Wohnraum sprechen, ist das ein wichtiger Punkt. Die systematische Bauweise und vorfabrizierte Elemente sind sehr effizient, wenn es darum geht, mit möglichst wenig Material eine möglichst gute Konstruktion zu errichten. Das bedeutet aber gleichzeitig eine umfassendere und detailliertere Planung, idealerweise mit BIM. Angesichts der heutigen Ansprüche an Produktivität und Nachhaltigkeit müssen sich Architekten, Fachplanerinnen und Unternehmer beim Wandel von der traditionellen zur Modulbauweise stetig weiterentwickeln. Mit der Vorfabrikation können ästhetisch ansprechende, statisch solide Bauten entstehen, die effiziente, qualitätsvolle und allen zugängliche Wohnbauten und andere Typologien hervorbringen. Wichtig ist, dass die Technologie, lokale Materialien sowie das technische Know-how und die Charakteristik einer Region mitberücksichtigt, damit sie auf möglichst breite Akzeptanz stösst.

Dieser Beitrag von Eduardo Souza ist auf Archdaily.com erschienen und wurde von Marion Elmer übersetzt und bearbeitet.

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