Bezahlbarer Wohnraum und herausragende Architektur widersprechen sich oft. Nicht so in Bremen, wo die grösste Wohnungsbaugenossenschaft der Stadt auf flexible, modulare und zeitgemässe Gebäude setzt.
Bilder: Nikolai Wolff.
Wohnraum ist knapp in deutschen Grossstädten. So auch in Bremen, einer Hansestadt in Norddeutschland mit mehr als einer halben Million Einwohnern. Vor allem an bezahlbarer Wohnfläche mangelt es. Gleichzeitig gibt es Freiflächen, die sich für eine Bebauung anbieten würden. Einige Viertel könnte das sogar aufwerten. Eine behutsame bauliche Ergänzung vorhandener Quartiere, das war auch das Ziel der grössten Wohnungsbaugenossenschaft der Stadt, der GEWOBA. Sie veranstaltete 2011 einen Ideenwettbewerb zum Thema «Ungewöhnlich Bauen», mit dem sie auf zeitgemässe Lösungen für bezahlbaren, flexiblen Wohnraum hoffte, der unterschiedlichen Bevölkerungsstrukturen ein Zuhause sein konnte. Dabei ging es um die Ergänzung von Nachkriegssiedlungen der 1950er- und 1960er-Jahre, etwa einer Gartenstadt.
Lin Architekten Urbanisten aus Berlin entwickelten im Rahmen des Wettbewerbs die «Bremer Punkte»: würfelförmige Baukörper aus vorgefertigten Modulen in Holzbauweise. Mit 14 mal 14 Metern Grundfläche blieben sie bescheiden. Sie hatten dieselbe Geschosszahl wie die vorhandenen Gebäude und wirkten tatsächlich wie unauffällig dazwischengewürfelt, liessen dem Viertel durch ihren nur punktuellen Einsatz den grünen Charakter. Die Punkthäuser traten auch optisch nicht in Konkurrenz zum Bestand. Die Gewoba liess erst einmal drei solche Kuben bauen.
«Uns ging es hier um einen flexiblen Gebäudetyp – gewissermassen ein Gerüst mit hoher Adaptionsfähigkeit», sagt John Klepel, Projektleiter bei Lin Architekten Urbanisten. Das Konzept sei deshalb als Baukastensystem entwickelt worden, in dem je Gebäude unterschiedliche Wohnungstypen miteinander kombiniert werden können. «Damit entstehen an jedem Standort individuelle Angebote für unterschiedliche Nutzergruppen.»
Uns ging es hier um einen flexiblen Gebäudetyp – gewissermaßen ein Gerüst mit hoher Adaptionsfähigkeit
John Klepel, Projektleiter bei LIN Architekten Urbanisten
Aus dem Prototyp wurde inzwischen eine Art Serie, die flexible Lösungen für verschiedene Umgebungen und Zwecke bietet. Die Adaptionsfähigkeit ist immens: Vier bis elf Wohnungen lassen sich in einem Bremer Punkt kombinieren, bei Wohnflächen von 30 bis 138 Quadratmetern. Sechzig Geschossvarianten sind möglich. Das gibt der Wohnbaugenossenschaft einen Werkzeugkasten an die Hand, mit dem sie flexibel auf Situationen und Bedarf reagieren kann. Die Bremer Punkte sind sogar als Ergänzung zu Bestandsbauten denkbar, indem sie mit Brücken auf den Etagen angeschlossen werden.
Architektonisch sind die Punkthäuser als modulares Baukastensystem konzipiert und überwiegend aus vorgefertigten Bauteilen zusammengesetzt. Die tragenden Aussenwandelemente werden in Hozrahmenbauweise gefertigt, die Deckenelemente in Stahlbeton oder einem optimiertem Holz-Beton-Verbundsystem. Die Erschliessung besteht aus Stahlbeton, steift das Gebäude aus und bildet zugleich den sicheren Fluchtweg. Er kann innenliegender Kern oder Laubengang sein. Die Fenster sind frei angeordnete, quadratische Öffnungen und spiegeln das Individuelle des Gebäudes. Als konstruktiver Holzbau verbraucht ein Bremer Punkt wesentlich weniger graue Energie als ein vergleichbares Haus in Massivbauweise. Die Gebäudehülle ist zudem so starkt gedämmt, dass fast der Passivhausstandard erreicht wird.
Ausser den vier bereits gebauten Bremer Punkten sind momentan drei weitere im Bau und noch einmal drei geplant. Sie wurden mit dem Deutschen Bauherrenpreis 2018 ausgezeichnet.
Weitere Informationen
Standort: Bremen, Gartenstadt Süd, Kattenturm, Schwachhausen
Bauherr: GEWOBA Aktiengesellschaft Wohnen und Bauen, Bremen
Entwurfsplanung: LIN Architekten Urbanisten, Berlin; Giulia Andi, Finn Geipel
Ausführungsplanung: Kahrs Architekten, Bremen
Hersteller der Modulbauteile: ÖHS (Ökologischer Holzbau Sellstedt), Sellstedt
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