Im Nordwesten von Barcelona haben Vivas Arquitectos im Auftrag der Stadt einen Holzsystembau errichtet. Auch wenn er sich äusserlich gut in das Universitätsquartier einfügt, beherbergt er weder ein Institut noch Studierende.

Hundert Betten finden im 60 Meter langen, 16 Meter breiten, dreigeschossigen Gebäude Platz.

Fotos: José Hevia

Mit einer dank der Vorfertigung verkürzten Bauzeit konnte die Stadt Rücksicht auf die umliegenden Lerngebäude und -institute nehmen.

Unweit der Talstation der Standseilbahn, die auf Barcelonas Hausberg Tibidabo führt, steht seit letztem Jahr ein glänzender Riegel. Was er wohl in sich bergen mag? Eine Schule oder ein Institutsgebäude, wie es im Stadtbezirk Sarrià-Sant Gervasi so einige gibt? Ein Gemeinschaftszentrum oder Wohnungen für Studierende?

Dass der mit Wellblech bekleidete Holzbau Obdachlose beherbergt, wird Einheimische wenig erstaunen, da hier bereits früher eine Notunterkunft stand. Überraschen mag hingegen, dass das Haus nur weiblichen Obdachlosen offensteht.

Diese Bevölkerungsgruppe, die lange unsichtbar war, braucht eine andere Art von Betreuung als Männer. Hauptursache für die Obdachlosigkeit von Frauen ist in der katalanischen Hauptstadt nämlich nach wie vor männliche Gewalt. Bevor Frauen auf der Strasse schlafen, haben sie meist schon länger in prekären Wohnverhältnissen und in einer Atmosphäre des Missbrauchs und der Gewalt leben müssen. Oft sind sie deshalb in einer schlechteren körperlichen und seelischen Verfassung als Männer. Das zeigen aktuelle soziologische Untersuchungen in vielen europäischen Ländern.

Seit der Pandemie hat die Stadt Barcelona deshalb viel unternommen, um die Obdachlosigkeit von Frauen zu bekämpfen. So finden obdachlose Frauen im silbernen Neubau nicht nur einen Schlafplatz und etwas zu essen, sie werden auch individuell betreut, erhalten emotionale Unterstützung und Hilfe bei der Arbeitssuche. Ziel soll sein, dass sie bald ein möglichst unabhängiges Leben führen und sich wieder in die Gesellschaft eingliedern können.

Sicher und geborgen im Holzbau

Damit die Frauen sich in ihrem temporären Zuhause möglichst wohl, sicher und geborgen fühlen, haben die Architekten verschiedene Massnahmen getroffen. Auf der Südseite sorgt ein Garten als Filter und im Norden eine Wand als Grenze zur Aussenwelt. Dank Holz und anderen warmen Materialien entsteht in den Innenräumen eine behagliche Atmosphäre, was bei diesem Bau besonders wichtig war. Die kühle Funktionalität, die vielen sozialen Einrichtungen eigen ist, galt es unbedingt zu vermeiden. Eine Besonderheit des Baus sind Aussenräume, die sich dennoch mitten im Haus befinden und somit die nötige Privatsphäre bieten: In einer L-förmigen Galerie im Erdgeschoss, die sich zum Garten öffnet, sitzen die Bewohnerinnen fast draussen und fühlen sich dennoch geschützt. Weitere Aussenräume gibt es in Form von Loggien, Terrassen und überdachten Vorplätzen.

Hundert Betten finden im 60 Meter langen, 16 Meter breiten, dreigeschossigen Gebäude Platz. Die für dieses Programm nötige Verteilung mit Spannweiten von 3,4 Metern eignete sich optimal für ein vorgefertigtes Holzplattensystem. So besteht die Konstruktion aus einem Tragsystem aus Brettsperrholzwänden. Auch der tiefere CO2-Fussabdruck sprach für diese Bauweise. Zudem konnte die Stadt mit einer dank der Vorfertigung verkürzten Bauzeit Rücksicht auf die umliegenden Lerngebäude und -institute nehmen.

Im Erdgeschoss befindet sich zwischen Ess- und Aufenthaltsraum ein grosser Wasch- und Duschraum, den tagsüber auch Frauen nutzen können, die nicht hier wohnen. An der nördlichen Seite sind Therapie- und Sprechzimmer angeordnet. Über zwei Treppenhäuser gelangen die Bewohnerinnen in ihre Zimmer. Im ersten Geschoss befinden sich neben Einzelzimmern auch eine Gemeinschaftsküche und weitere Aufenthaltsräume, im zweiten Geschoss 2- und 4-Bett-Zimmer.

Dank der gut isolierten Gebäudehülle und der Markisen, die sich je nach Temperatur und Sonneneinstrahlung automatisch regulieren, handelt es sich nahezu um einen Nullenergiebau. Mit einer Sparvorrichtungen versehene Wasserhähne sowie eine genügsame Vegetation im Garten halten auch den Wasserverbrauch tief. Neben der sozialen war für die Stadt und die Architekten auch die ökologische Nachhaltigkeit zentral.

PROJEKTDATEN

Unterkunft für obdachlose Frauen, 2023
Sarrià-Sant Gervasi, Barcelona ES

Bauherrschaft: BIMSA, Barcelona d’Infraestructures Municipals
Architektur: Vivas Arquitectos, Barcelona ES 
Tragwerksplanung: Manuel Arguijo y Asociados, Barcelona ES
Landschaftsarchitektur: Ohrizons, Barcelona ES
ELT-Planung: Eletresjota Tècnics Associat, Sant Feliu de Llobregat ES
Bauunternehmen: CRC Obras y servicios, Barcelona ES

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