In Mühlethurnen, einer Landgemeinde im mittleren Gürbetal, zwischen Belp und Thun gelegen, stehen zwei miteinander verbundene Einfamilienhäuser, die in einer Leichtbauweise entstanden sind. Das eine Haus wird von einem pensionierten Pädagogen-Paar bewohnt, das sich kein schöneres Zuhause vorstellen kann.
Der Systembau von Mühlethurnen steht heute unter Denkmalschutz – eine klare Aussage über seine besondere Qualität
Das Haupthaus mit dem Nebengebäude, welches den fehlenden Keller ersetzt, steht am Rand von Mühlethurnen und bildet zusammen mit der Linde einen Hof, wie er in dieser ländlichen Gegend typisch ist. Die Überschwemmungsgefahr durch die Gürbe, die unmittelbar vor dem Haus vorbeifliesst, sowie der hohe Grundwasserspiegel führten dazu, dass das Haus in einer Pfahlbauweise ohne Unterkellerung gebaut wurde. Sein Zentrum bildet die lichtdurchflutete Vertikalerschliessung. Der gemeinsam genutzte Zwischenbau dient zugleich als grosser Windfang, akustische Trennung der Häuser und als zusätzliche Erschliessung der Zimmer im Obergeschoss. Das wichtigste Charakteristikum des Hauses ist aber die Leichtbauweise – sie wurde gewählt, um die setzungsempfindlichen «schwimmenden» Betonpfähle, 32 an der Zahl, nicht unnötig zu belasten. Das auf einem Raster von 2.9 m aufgebaute Holzskelett ermöglichte eine direkte und ökonomische Kraftübertragung in die Pfahlfundation.
Bewohnt wird das eine der beiden Einfamilienhäuser von Katharina und Hans-Martin Stähli, einem Pädagogen-Paar im Ruhestand, welches das Haus 1986 durch Peter C. Jakob Gründungsmitglied von Bauart Architekten hat planen und bauen lassen. Heute steht das Haus unter Denkmalschutz.
HANS-MARTIN STÄHLI: Als meine Frau und ich dieses Haus gebaut haben, waren unsere beiden Buben noch klein. Zwar waren wir damals beide in Bern berufstätig – meine Frau erst als Didaktiklehrerin an einem Seminar, später im Schuldienst, ich als Musiklehrer an einem Gymnasium – und hatten ein schönes Einkommen, doch viel Geld stand uns nicht zur Verfügung. Weil wir gute Architektur aber immer sehr geschätzt haben, wünschten wir uns eine besondere Lösung, die unseren Bedürfnissen und Wünschen entsprach, dabei aber mit unseren Löhnen finanzierbar sein musste.
KATHARINA STÄHLI: Diese Ausgangslage haben wir Peter C. Jakob geschildert. Er hat sich sehr über unseren Anspruch gefreut und innert kürzester Zeit eine aussagekräftige Lösung entwickelt, die auf Wiederholungselementen, konkret: einem «Würfel-Haus» bestehend aus neun Quadraten, basierte. Der Weg zu dieser Lösung war allerdings anspruchsvoll und führte über viele, zum Teil nächtelange Diskussionen – ich bin ja in einem über 450 Jahre alten, denkmalgeschützten Haus am Sustenwanderweg aufgewachsen und wir beide haben die Systembauweise damals noch gar nicht gekannt. Kein Wunder, dass Peter uns am liebsten für eine längere Zeit in die Ferien geschickt hätte – so lange, bis das Haus steht!
HANS-MARTIN STÄHLI: Als es nach einer längeren Planungs- und einer sehr kurzen Bauphase dann aber endlich stand, war es für uns erst einmal faszinierend zu sehen, wie unsere Kinder – und auch die Kinder aus der Nachbarschaft – auf dieses Haus reagierten und es sofort in Beschlag nahmen; insbesondere immer wieder neue Wege fanden, um es zu begehen. Das ist übrigens bis heute so – auch unsere Grosskinder, die nun häufig bei uns zu Besuch sind, lieben das Haus!
KATHARINA STÄHLI: Dieses Haus hat eine unglaubliche Qualität! Überall sieht man in eine Lichtquelle oder stösst auf Ausblicke in die Weite, tief hinein ins Gürbetal. Und nie läuft man an eine Wand.
HANS-MARTIN STÄHLI: Das stimmt! Gerade als Musiker schätze ich das Helle und Offene dieses Hauses ganz besonders – wie auch die Ruhe der Umgebung. Es bietet aber noch weitere Vorteile: Zum Beispiel die Möglichkeit, ohne Aufwand kleinere oder auch mal etwas grössere Veränderungen umsetzen zu können. So haben wir im Lauf der Zeit eine ganze Reihe von Anpassungen vorgenommen. Und stellen uns derzeit Überlegungen an, ob wir das Haus inskünftig als Generationenhaus nutzen wollen. Spannend finden wir ausserdem unsere «grüne Wand», eine Bewachsung der Nord- und Ostseiten, die immer Teil des Konzepts war und im Sommer für Kühlung sorgt. Last but not least schätzen wir den Aussenraum, der so gestaltet ist, dass er eine Erweiterung des Innenraums darstellt.
KATHARINA STÄHLI: Glücklich waren wir auch, als unser Haus 1990, als die Gürbe über ihre Ufer trat und das ganze Tal zum Katastrophengebiet erklärt wurde, verschont blieb. Zwar stand es im Wasser, doch weil es auf Pfählen ruht, nachdem sich unser Architekt in weiser Voraussicht intensiv mit den verschiedenen Niveaus in unserer unmittelbaren Umgebung beschäftigt hatte, gab es für die Feuerwehr bei uns nichts auszupumpen.
HANS-MARTIN STÄHLI: Weniger Glück hatten wir dagegen vor zwei Jahren beim grossen Hagelunwetter, als unser Dach von tennisballgrossen Eisklumpen in Mitleidenschaft gezogen wurde…
KATHARINA STÄHLI: Das ist so. Doch zu den wenigen negativen Punkten: Überrascht haben uns die zum Teil heftigen negativen Reaktionen, die wir in der ersten Zeit erhalten haben. So wurde das Haus unter anderem als «Schandfleck des Dorfes» bezeichnet. Diese Aufregung hat sich dann aber wieder gelegt und nach ersten Publikationen in Fachmagazinen schauten immer wieder mal Architekturinteressierte bei uns vorbei – einmal sogar eine ganze Gewerbeschulklasse.
HANS-MARTIN STÄHLI: Weil das Haus ein einziger grosser Raum ist, in dem die Zimmer gleichsam eingehängt sind, ist es schliesslich ziemlich ringhörig. Ein Problem stellte dies für uns aber nie dar – im Gegenteil; wir lieben den Klang unseres Hauses!
KATHARINA STÄHLI: Ein weiterer Punkt betrifft das Einrichten – das ist sicher nicht ganz einfach. Unser Architekt meinte einmal zu uns, unser Haus sei an sich bereits Gestaltung – die Einrichtung müsse deshalb zwingend zurückhaltend sein. Wir haben auf ihn gehört, über die Jahre aber ein eigenes Gespür dafür entwickelt, was alles geht – und Standardmöbel gehen definitiv nicht.
HANS-MARTIN STÄHLI: Dieses Haus bietet von jedem Ort aus andere Aussichten. Diese Tatsache, wie auch seine schöne, schlichte, reduzierte Gestaltung, die Gäste übrigens immer wieder Assoziationen zu Japan machen lässt, haben es für uns über die Jahre frisch und spannend erhalten. Deshalb sind wir heute stolz darauf, dass wir uns darauf eingelassen haben, auf die Systembauweise zu setzen; das bedeutet uns schon etwas. Und auch wenn es nicht immer ganz einfach ist, mit den Anforderungen, welche der Denkmalschutz stellt, umzugehen, so beschäftigen wir uns geistig doch bereits mit einem raffinierten Anbau.
Wir lieben den Klang unseres Hauses
Ehepaar Stähli
Bilder: Susanne Völlm
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